Alte Liebe rostet nicht – oder doch?
- Posted by Hans-Georg Lauer
- On 12. Dezember 2016
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- Beziehung, grundbefürfnisse, paar-dialog, paarpraxis, paartherapeut, Pairfam, Trennung
Wie nach vielen Ehejahren ein Neuanfang gelingen kann
In der Stadt, in der ich arbeite, gibt es ein beliebtes Restaurant-Schiff / Bootshaus, dessen Name Programm ist: „Alte Liebe“. Von hier aus kann man den Schiffen auf dem Rhein nachsinnen, entspannt die Silhouette der Stadt genießen und mit seiner „alten Liebe“ einen romantischen Abend verbringen. Die „Alte Liebe“ kenne ich auch aus unserem langjährigen Urlaubsort an der norddeutschen Küste, von wo aus man die großen Containerschiffe gemächlich am Horizont entlang schippern sieht. Auch hier kann man sich seinen Träumen von Zweisamkeit und unendlicher Weite sehr gut hingeben.
Alte Liebe rostet nicht
Bekanntlich rostet alte Liebe nicht, wie ein gern gebrauchtes deutsches Sprichwort sagt. Oder sollte sich daran im 21. Jahrhundert etwas geändert haben?
Ein Blick in die Gazetten spricht Bände. Seien es Marius Müller-Westernhagen, Lothar Späth oder Uli Wickert – sie und andere haben sich nach vielen Jahren der Ehe für eine Trennung entschieden. Die Medienwelt vermittelt uns, dass sich auch ältere Paare immer häufiger trennen. Was Promis und VIPs beziehungstechnisch längst vorleben, ist auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen: die Silberhochzeit schützt vor Trennung nicht. Das zeigt sowohl die Scheidungsstatistik als auch meine persönliche Erfahrung als Paartherapeut. Späte Scheidungen (jenseits von > 25 Ehejahren) sind keine Seltenheit mehr, allein schon deshalb, weil wir heute eine deutlich höhere Lebenserwartung haben und die Zeit ab 55 noch genutzt werden will. Dann sprechen wir vermehrt von Lebensabschnitts-Partnern, um unsere Flexibilität und Wandlungsfähigkeit auszudrücken.
Was die Statistik sagt
Laut amtlicher Statistik gehen inzwischen über 20 % der Ehescheidungen auf Paare zurück, die seit mehr als 25 Jahren zusammen leben. Verschiedene Langzeitstudien wie PAIRFAM wollen daher für Transparenz in unserem Paar- und Familienalltag sorgen, indem sie Paare mit biographischen Interviews über einen Zeitraum von > 20 Jahren hinweg begleiten.
Während sich Männer häufig mit ihrer Beziehung abfinden, zumindest solange sie im Berufsleben stehen, sind es zumeist Frauen, die sich mit einer unerfüllten Partnerschaft nicht mehr zufrieden geben. Eine Entscheidung, die sie vor mehr als 25 Jahren getroffen haben, stellen sie heute viel selbstverständlicher in Frage als ihre Eltern, insbesondere wenn die eigenen Eltern als „Moralwächter“ bereits aus dem Leben geschieden sind.
Als Paartherapeut interessiert mich, was Paare unternehmen können, um dem langsamen Verschleiß ihrer Beziehung vorzubeugen. Entscheidend ist zum einen unsere Erwartungshaltung an eine Paarbeziehung. Die Erwartungen an das Glück in Beziehungen und an den Partner sind heutzutage deutlich höher als zu der Zeit unserer Eltern und Großeltern. Wir leben in einem individualistischen Zeitalter, welches uns ökonomisch und moralisch deutlich mehr Freiheiten lässt als noch vor 40 Jahren und wo wir gefordert sind, diese Freiheiten verantwortungsvoll zu gestalten, um dem „Beziehungs-Verschleiß“ vorzubeugen.
Trügerische Konsens-Illusion und zunehmende Gleichgültigkeit
Was ich an meinen Paaren jenseits der Silberhochzeit zum anderen beobachte, lässt sich am besten mit einer Kombination aus trügerischer Konsens-Illusion und zunehmender Gleichgültigkeit bezeichnen. Um einem erwarteten Konflikt aus dem Weg zu gehen, schweigen sich Paare an oder akzeptieren klaglos Verhaltensweisen des Partners, die sie im innersten ablehnen. Beide Phänomene schleichen sich über die Jahre ein und werden zu scheinbar unüberwindbaren Hindernissen für eine ehrliche Kommunikation. Stattdessen gewinnen die aufgebauten materiellen Werte an Bedeutung. Hier eine Fernreise, dort das schicke Cabriolet, die Beziehung selber verläuft standardisiert. Nach außen wird der Schein gewahrt, die gefühlvolle Beziehung ist einer geschäftsmäßigen Routine gewichen.
Allerdings ist es nicht so, dass sich unsere Grundbedürfnisse wie Liebe, Zuneigung und Intimität über die Jahre quasi automatisch abbauen und einstellen. Wir bleiben ein Leben lang soziale Wesen, die sich nach körperlicher Nähe und Zugewandtheit sehnen. Auch Sex spielt im Alter nach wie vor eine bedeutende Rolle.
Der kritische Blick auf die eigene Beziehung spitzt sich häufig beim Auszug der Kinder („Empty Nest Syndrom“) oder bei einer „Midlife Crises“ einer der beiden Partner zu. Dann kommt eine Dynamik im Paarleben auf, die an ein „Endspiel“ erinnert. Es gibt nur noch die Alternativen „gehen“ oder „bleiben“. „Bleiben“ aber nur unter der Voraussetzung, dass der jeweils andere Partner bereit ist, einen ernsthaften Versuch zur Rettung der Beziehung zu unternehmen.
Das Ehepaar P.
So ähnlich bahnte es sich auch bei dem Ehepaar P. an (Sie: 55, Er: 57 Jahre, seit 27 Jahren verheiratet, 2 volljährige Kinder), als sie vor einigen Monaten in meine Paarpraxis kamen, nachdem das jüngste Kind neun Monate zuvor das elterliche Haus in Richtung Studium verlassen hatte. Sie klagte über langjährige Gleichgültigkeit und fehlende Intimität in der Beziehung. Er hielt das für normal und nicht erwähnenswert. Auf die Frage, was sie noch als Paar zusammen hält, kamen eine lange Pause und Tränen bei ihr.
Was tun? (ein kleiner Ausschnitt meiner Arbeit)
Meine erste Intervention bei diesem Paar bestand darin, gemeinsam mit ihnen zu überlegen, wie sie sich kennengelernt und was sie zu Beginn ihrer Beziehung für einander empfunden hatten. Dabei legte ich Wert darauf, sie ihre Geschichte nochmals intensiv erleben zu lassen. Sie sollten die Chance bekommen, wechselseitig die Perspektive ihres Partners deutlich vernehmen zu können, um so an die Gefühle des Partners und an ihre eigenen Gefühle anzudocken.
Dann ging es bei dem Ehepaar P. darum, wieder sprachfähig zu werden, das Schweigen, was sich über Jahre wie Mehltau auf die Beziehung gelegt hatte, zu überwinden und die Bereitschaft für einen ehrlichen Dialog über die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zuzulassen. Hierfür nutzte ich das Instrument des formalen Paar-Dialoges, wie es bspw. von Michael Lukas Moeller konzipiert wurde. Während der Paar-Sitzungen übten sie das Zwiegespräch und ich war sichtlich überrascht, als Herr P. nach der dritten Sitzung erstmals wieder ein Lächeln im Gespräch mit seiner Frau zeigte und in der Lage war, seine Gefühle zu thematisieren.
Ein Highlight für die beiden: ein verlängertes Paar-Wochenende an der Bergstraße, wo sie sich vor über 30 Jahren bei einem Winzerfest kennengelernt hatten. Damit konnten Sie an ihre Paar-Geschichte anknüpfen und sich bewusst dafür entscheiden, neu miteinander in Beziehung zu treten und ihre Wünsche / Bedürfnisse zu artikulieren.