Wie mit Nähe und Distanz in Paarbeziehungen umgehen?
- Posted by Hans-Georg Lauer
- On 15. Januar 2017
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- bedürfnisse, bindungsangst, bindungsfähigkeit, glaubenssätze, näheunddistanz, paartherapeut, Paartherapie, rollen
Ein häufiges Thema in meiner Paartherapie
Christof (37) versteht die Welt nicht mehr. Gerade noch hat er mit Lisa (33) verträumt auf dem Sofa gesessen, sie liebevoll in den Arm genommen, sich zu ihr herübergebeugt und wollte ihr einen Kuss geben. Doch Lisa zieht sich zurück und steht vom Sofa auf. Sie kann die Annäherung von Peter jetzt nicht haben. Was ist geschehen?
Autonomie und Bindung – zwei entgegengesetzte Bedürfnisse
Das menschliche Verhalten wird von unseren Bedürfnissen und Motiven gesteuert. Paar-Beziehungen sind oft von entgegengesetzten Bedürfnissen/Kräften geprägt. Zwei wesentliche menschliche Bedürfnisse (Teil des Grundbedürfnismodells von Grawe, 2004, der von fünf Grundbedürfnissen ausgeht) sind die nach Autonomie und Bindung. Diese zwei Bedürfnisse stehen im Widerstreit miteinander. Während wir mit Autonomie und Unabhängigkeit unser eigenes Selbst entwickeln, suchen wir mit Nähe die Verschmelzung mit dem Anderen.
Beide Kräfte kommen in uns vor, mal mehr und mal weniger. Die Dynamik von Paarbeziehungen resultiert häufig aus einem Wechselspiel von Nähe und Distanz bzw. Annäherung und Vermeidung. Wir pendeln zwischen unseren Bedürfnissen nach Annäherung, Verbundenheit und Nähe einerseits und Abgrenzung, Autonomie und Eigenständigkeit andererseits. Das Wechselspiel der beiden Kräfte hält eine Beziehung lebendig. Das richtige Maß zwischen Nähe und Distanz zu finden, ist eine der Kernaufgaben in einer gut funktionierenden Beziehung.
Rollenverteilung hinsichtlich Nähe und Distanz
Oft gibt es in einer Paarbeziehung eine klare Rollenverteilung hinsichtlich Nähe und Distanz. So wie bei Christof und Lisa, die sich in meine Paartherapie begaben, nachdem ihre Konflikte rund um das Thema Annäherung deutlich zugenommen hatten. Bereits in den ersten Monaten stellte sich bei ihnen ein gewisses Rollenmuster ein. Während Christof häufig die Nähe von Lisa suchte, sie umwarb und ihr nahe sein wollte, hielt sich Lisa bedeckt, brauchte Zeit für sich und konnte mit den Liebesbekundungen von Christof wenig anfangen. Im Gegenteil. Diese ängstigen sie.
Wenn die Phase der Verliebtheit zu Ende geht, zeigt sich klarer, welcher Partner eher die Rolle desjenigen übernimmt, der sich löst und welcher Partner die Rolle desjenigen übernimmt, der sich bindet. Wenn beide Partner mit Bindungen gut umgehen können, so resultiert hieraus ein „gesundes“ Wechselspiel von Nähe und Distanz. Mal ist der eine Partner in der Rolle desjenigen, der die Bindung sucht, mal der andere. Hieraus können sich ein gesunde Persönlichkeit und eine reife Partnerschaft entwickeln.
Prägende Erfahrung in der Kindheit
Ob wir tendenziell eher die Rolle des Beziehung-Suchenden oder Beziehung-Vermeidenden einnehmen, entscheidet sich relativ früh in unserer Kindheit. Wesentlich für die Entwicklung unserer Bindungsfähigkeit sind die ersten Lebensjahre. Viele Studien (hier ist insbesondere John Bowlby zu nennen) deuten darauf hin, dass die Erfahrungen, die wir mit unseren wichtigsten Bezugspersonen der Kindheit, also zumeist unseren Eltern, gemacht haben, entscheidend dafür sind, wie wir unseren Partner später sehen. Unsere Eltern bringen uns nicht nur das Gehen und Sprechen bei, sondern auch wie wir Beziehungen leben und Bindungen entwickeln. Wir lernen, ob wir uns annähern und geborgen fühlen dürfen oder ob wir sehr schnell selbstständig und autonom sein müssen. Aus unseren frühen Kindheitserfahrungen entsteht unser Modell von Beziehung und Liebe.
Wenn wir uns also als Kind geborgen gefühlt haben, können wir häufig selbst Nähe zulassen und unserem Partner den nötigen Freiraum geben. Umgekehrt gilt, haben wir als Kind schwierige und beängstigende Erfahrung mit Beziehungen gemacht, entwickeln wir unter Umständen eine Angst vor Abhängigkeit und Verletzung und suchen eher die Autonomie. Das kann dann in eine Bindung-Ängstlichkeit münden und zu entsprechendem Verhalten in der Partnerschaft führen. Es kann aber auch sein, dass wir aus einem falsch verstandenen Bindungsbedürfnis heraus uns selbst verleugnen und nur noch die Nähe des Anderen suchen.
In einer Beziehung sind diese Muster und Rollen zum Glück nicht statisch oder ein für alle Mal festgeschrieben. Jeder Partner hat zwar seine präferierte Rolle, durch externe Ereignisse kann es aber zu Veränderungen bis hin zum Rollentausch kommen. Das sehe ich zum Beispiel dann, wenn einer der Partner fremdgegangen ist.
Wie sich unsere Bindungserfahrungen auf die Partnersuche auswirken
Häufig suchen wir uns unbewusst gerade den Partner, der zu unserem Bindungsmuster passt. Passen ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass wir uns tendenziell eher Partner suchen, die ein entgegengesetztes Bindungsverhalten zeigen. Damit wollen wir unsere früheren Lernerfahrungen kompensieren und das lernen, was wir bislang nicht konnten. Wir versuchen also mit dem Partner unsere frühen Kindheitskonflikte zu überwinden.
So wie bei Christof und Lisa, die sich relativ rasch über ihre Bindungsmuster klar wurden, nachdem sie in meine Paartherapie-Praxis gekommen waren und einige zielgerichtete Übungen mit mir durchgeführt hatten. Was ihnen jedoch mehr Schwierigkeiten bereitete, war die Frage, wie sie diese Muster in ihrem Beziehungsalltag überwinden konnten.
Unterstützung durch Paartherapie
Als Paartherapeut unterstütze ich meine Klienten dabei, Ängste abzubauen, neue Wege zu gehen und Veränderungen umzusetzen.
Lisa übernahm die Aufgabe, sich behutsam aber systematisch ihrer Bindungssangst zu stellen. Sie spürte deutlich, dass sie Angst davor hatte, sich fallen zu lassen. Sie wollte auf gar keinen Fall enttäuscht oder „abserviert“ werden. Erst als sie sich bewusst ihrer Angst stellte und mehr und mehr spürte, dass sie diese reduzieren konnte, entspannte sich die Situation. In Christof hatte sie einen liebevollen Partner gefunden, dem sie mehr vertraute als den Partnern zuvor. Insofern eine günstige Ausgangssituation für das Paar.
Christof wiederum sah sich vor die Herausforderung gestellt, Lisa auch Freiräume zu lassen. Seine Lernaufgabe war es, sich selbst stärker zu akzeptieren und die Autonomie seiner Partnerin zu respektieren, selbst wenn er manche Reaktion von Lisa nicht verstand. Wichtig war für ihn, dass er mittels Paartherapie in die Lage versetzt wurde, sich selbst besser abzugrenzen, seinen Selbstwert besser schätzen zu lernen. Auch lernte er, weniger Kritik am Verhalten von Lisa zu üben.
Aufdeckung der Glaubenssätze in der Paartherapie
Ein weiterer Aspekt meiner Arbeit als Paartherapeut mit Lisa und Christof war, ihre negativen „Glaubenssätze“ zum Thema Bindungsfähigkeit aufzudecken. Unter Glaubenssätzen verstehe ich festgefahrene, innere Denkabläufe und Monologe, die sich unter Umständen unserem bewussten Erleben entziehen. Hierzu schauten wir gemeinsam auf ihre jeweilige Herkunftsfamilie und auf das, was in ihrer Familie zum Thema Beziehung und Bindung vermittelt wurde. Einmal aufgespürt entwickelte ich mit meinen Klienten neue Glaubenssätze, die es ihnen leichter machten, ihre Beziehung erfolgreich zu gestalten.
Am Ende der Paartherapie konnten beide mit ihren Bindungspräferenzen lockerer und spielerischer umgehen.