Wie wichtig ist das Verzeihen in einer Paarbeziehung?
- Posted by Hans-Georg Lauer
- On 21. November 2018
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Verzeihen kann die Beziehung stärken
Wer kennt das nicht? In jeder Paarbeziehung kommt es zu kleineren Unachtsamkeiten und Verletzungen. Schnell ist ein Unrecht passiert, manchmal unabsichtlich oder unbewusst. Wenn es sich um eine Kleinigkeit handelt, entschuldigen wir uns und die Sache ist erledigt. Anders sieht es aus, wenn es um größere Verletzungen wie Untreue oder Lügen in der Partnerschaft geht. Dann fällt das Entschuldigen und Verzeihen oft schwerer.
Entschuldigungen in einer Paarbeziehung können, wenn Sie ehrlich gemeint sind, eine sehr reinigende Wirkung haben und den Beginn eines Neuanfangs darstellen (mehr hierzu siehe mein Blog zu Entschuldigungen in Paarbeziehungen . Nicht immer ist dies jedoch der Fall. Der gekränkte oder verletzte Partner muss zunächst bereit sein, zu verzeihen.
Je nach Schwere der Kränkung braucht das Verzeihen Zeit. Wieviel Zeit benötigt wird, lässt sich schwer prognostizieren. Verzeihen braucht den Willen, sich den Verletzungen aktiv zu stellen. Je schwerer die Verletzung und je geringer das Selbstbewusstsein, desto mehr Zeit braucht es, bis man verzeihen kann.
Die gute Nachricht ist: verzeihen hat oft eine positive Wirkung auf das Opfer selbst. Derjenige, der in der Lage ist, zu verzeihen kann sein Leben aktiver gestalten und tritt aus der „Opferrolle“ heraus. Er nimmt sein Leben wieder aktiv in die Hand und überwindet so häufig die negativen Gefühle wie Enttäuschung oder Traurigkeit.
Verzeihen setzt häufig voraus:
- es muss klar sein, was man verzeiht
- es muss genug Zeit nach der Verletzung vergangen sein
- es muss ein Versuch unternommen worden sein, die Verletzung oder Kränkung zu bewältigen
- es muss eine innere Bereitschaft zum Verzeihen im Einklang mit den eigenen Gefühlen da sein
Was kennzeichnet eine Vergebung
Die Vergebung (im Unterschied zum Verzeihen mit einem moralischen, religiösen Anspruch verbunden) muss weder ausgesprochen noch dem Partner mitgeteilt werden. Verzeihen ist kein simples Vergessen des Geschehenen. Es ist ein aktiver, innerer Akt des Verletzten, mit dem dieser das Geschehene akzeptiert. Er nimmt damit von den Vorwürfen an den Partner endgültig Abstand. Erst dadurch kann der verletzte Partner einen Neubeginn in der Partnerschaft einläuten.
Wieso Verzeihen schwer fällt
Dem eigenen Partner zu verzeihen, fällt vielen schwer. Viele denken: das, was mir der andere angetan hat, hat mich so stark verletzt, da kann ich ihm nicht verzeihen. Die Bestrafung der Tat steht im Vordergrund. Viele befürchten, dass sie sich mit dem Verzeihen kleiner machen. Sie haben Sorge davor, nicht mehr auf Augenhöhe zu sein. Partner, die sich in einer Beziehung mit dem Verzeihen schwertun, neigen dazu, dem anderen die Schuld zu geben und sich selbst frei von jedem Schuldanteil zu sehen.
Das Vergeben kann nicht unmittelbar nach der Verletzung erfolgen. Zunächst muss die Verletzung realisiert werden. Es muss ein aktiver Versuch unternommen werden, die Kränkung / Verletzung zu bewältigen.
Ein weiteres wesentliches Element von Verzeihen ist Reflexion
Reflexion und Selbstreflexion sind wesentliche Voraussetzungen für eine gelungene Vergebung. Wer sich und seinen Partner von außen betrachten und reflektieren kann, spürt überhaupt erst, was in ihm verletzt wurde. Diese Erkenntnis ist eine wichtige Voraussetzung für den Akt des Verzeihens.
Hilfreiche Fragen, die Sie für sich in einer Reflexion schriftlich beantworten können, sind zum Beispiel:
- welche Handlungen meines Partners führten zu der Verletzung?
- welche Werte, auf denen unsere Beziehung aufgebaut war, sind damit verletzt worden?
- sind unsere gemeinsamen Werte damit wirklich ad absurdum geführt?
- welche Bedeutung möchte ich der Verletzung geben?
- kenne ich dieses Gefühl der Verletzung und bin ich früher schon einmal in ähnlicher Form verletzt worden?
Die Vergebung ist der entscheidende Wegbereiter für den Neubeginn
Derjenige, dem ein Unrecht widerfahren ist, verändert seinen Blick auf den Partner, indem er verzeiht. Er lässt ab von den Vorwürfen, seien sie nun tatsächlich geäußert oder nur in Gedanken vorhanden. Er quält sich selbst nicht mehr mit dem rückwärtsgewandten Blick. Indem er vergibt, verändert er sich selbst. Er befreit sich mittels Verzeihens davon, den Partner für dessen Verhalten hassen zu müssen. Dadurch erreicht er eine neue Stufe der Selbstbestimmung und Reife in der Partnerschaft.
Die positiven Folgen des Verzeihens
- Verzeihen hat für beide Beteiligte eine befreiende Wirkung.
- Die Entlastung kann darin bestehen, dass es keine Entschädigung mehr geben muss für die erlittene Kränkung oder Verletzung.
- Jeder Partner übernimmt neu Verantwortung für sein Verhalten. Der Blick kann in eine selbstverantwortliche Zukunft gerichtet werden.
Geeignete Übung (REACH Prozess)
Mein Anliegen in der Paartherapie ist es, mit geeigneten Übungen / Interventionen die Bereitschaft für Entschuldigung und Vergebung zu fördern. Eine mögliche Übung zum Verzeihen ist das REACH Modell des amerikanischen Psychologie-Professors Everett Worthington. Mit REACH ist dabei das symbolische „Hand ausstrecken“ zum Partner gemeint. Jeder Buchstabe steht dabei für einen eigenen Schritt auf dem Weg zur Vergebung.
R (Recall)
Rufen Sie sich in Erinnerung, was Ihr Partner ihnen zugefügt hat. Akzeptieren Sie für sich, dass es eine Verletzung war. Dann versuche zu akzeptieren, dass diese Verletzung erfolgt ist. Das muss nicht heißen, die Tat gut zu heißen. Verdrängen sie ihre negativen Gefühle nicht und bedienen Sie diese auch nicht ständig.
E (Empathie)
Versuchen Sie sich, in den Partner/Täter einzufühlen. Was ging in Ihrem Partner in der Situation, in der die Verletzung erfolgte, vor? Manchmal handeln Menschen, die andere verletzen nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Vielleicht hat die Situation auch viel Stress für ihren Partner bedeutet und hatte damit einen negativen Einfluss auf sein Fehlverhalten. Der Partner muss deshalb kein „böser / schlechter Mensch“ sein
A (Altruismus)
Vielleicht gibt es eine Situation, in der sie selbst ihren Partner oder einen anderen Menschen verletzt haben. Rufen Sie sich diese Situation ins Gedächtnis. Stimmen Sie sich dann innerlich auf das Verzeihen dem Partner gegenüber ein. Machen Sie Ihr eigenes Verzeihen nicht vom Verhalten des Partners abhängig. Entwickeln Sie Mitgefühl mit sich selbst und lassen Sie dieses Mitgefühl in sich wachsen.
C (commit, sich festlegen)
Geben Sie dem Verzeihen einen formalen, offiziellen Charakter. Zum Beispiel indem Sie eine Rede oder einen Brief an den Partner/Täter schreiben (ohne ihn wirklich abzusenden) und ihm erklären, wie er sie verletzt hat. Legen Sie sich damit auf das Verzeihen fest. Nehmen Sie diese Haltung des Verzeihens immer öfters ein.
H (Haltbarkeit)
Halten Sie an der Vergebung fest. Wann immer die Gedanken an die Verletzung hochkommen, seien Sie freundlich zu dem Täter und stärken Sie Ihre Haltung des Verzeihens. Beschäftigen Sie sich mit dem Thema der Vergebung, indem sie ein Buch lesen oder einen Film ansehen, in dem es um Vergebung und Verzeihen (z.B. Mahatma Gandhi oder Martin Luther King) geht.
Der REACH Prozess wird Ihnen dabei helfen, Ihrem Partner zu verzeihen und die Beziehung zu stärken.
Hans-Georg Lauer
Paartherapeut in Köln und Bonn
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