Wie mit Bindungsangst umgehen?
- Posted by Hans-Georg Lauer
- On 31. Dezember 2019
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- Angst, Anna Karenina Prinzip, autonomie, bindungsangst, Bindungstheorie, paartherapeut, Paartherapie
Unterstützung zur Überwindung von Bindungsangst
„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“
Meinem Blog zur Bindungsangst möchte ich dieses berühmt gewordene Zitat von Leo Tolstoi voranstellen. Es ist der erste Satz aus seinem 1877 veröffentlichten Roman „Anna Karenina“. In Anlehnung an dieses Familien-Epos spricht man auch vom „Anna Karenina-Prinzip“. Demnach braucht es viele positiv ausgeprägte Faktoren (ähnliche Werte, sexuelle Anziehung, ausreichendes Vermögen, Übereinstimmung in der Kindererziehung usw.), damit sich Glück in einer Familie / Beziehung einstellt. Fehlt nur einer dieser Faktoren, so kommt es zu „Misserfolg“ und einem Gefühl von Unglück.
Meine eigenen Erfahrungen aus meiner Arbeit als Paartherapeut stehen in einem deutlichen Widerspruch zum Anna Karenina-Prinzip. Paare können sehr wohl miteinander glücklich sein, wenn einer der oben genannten Faktoren fehlt. Bindung und Nähe können auch ohne entsprechendes Vermögen oder sexuelle Anziehung gelingen. Das, was Beziehungen zumeist schon von Beginn an scheitern lässt, ist Bindungsangst. Deshalb ist es mir ein wesentliches Anliegen, mehr Transparenz und Klarheit in dieses Thema zu bringen.
Wie definiert sich Bindungsangst?
Unter Bindungsangst wird eine schwer zu überwindende Angst vor Nähe und Bindung in engen Beziehungen verstanden. Personen mit Bindungsangst wollen zwar eine Liebes- und Sexualbeziehung eingehen. Auf die damit einhergehenden Verpflichtungen aus der Beziehung wollen Sie sich aber nicht einlassen.
Naturgemäß ist jede Beziehung zwischen zwei Menschen mit Risiken verbunden. Auch mit dem Risiko des Scheiterns. Um diese berechtigten Sorgen oder Ängste in einer Paarbeziehung geht es bei der Bindungsangst nicht. Es ist vielmehr eine übertriebene Sorge vor Ansprüchen des Partners an die eigene Person.
Nach meiner Erfahrung sind sich die Betroffenen ihrer Ängste nur zum Teil bewusst. Dies erschwert naturgemäß die Analyse und darauf aufbauend Verhaltensänderung. Die Betroffenen fühlen sich von dem Thema „Bindungsangst“ zumeist nicht angesprochen. Was diese Personen berichten, ist ihre Sorge vor dem Verlust von Unabhängigkeit. Sie wünschen sich oft ihre Freiheit zurück und wollen mehr Autonomie. Manchmal werden die eigenen Ängste auf den Partner projiziert.
Partner von bindungsängstlichen Personen
Für die Partner von bindungsängstlichen Personen erscheint die Beziehung oft in der Schwebe. Phasen von großer Sehnsucht und dem Wunsch nach Nähe wechseln sich mit Phasen der Frustration und Niedergeschlagenheit bei dem Partner der bindungsängstlichen Person ab. Zumeist fühlen sich die Partner nicht gesehen und wenig wertgeschätzt. Deshalb kann Bindungsangst auch häufig zu einer On-Off-Beziehung führen On-Off-Beziehung überwinden . Die Paare haben sich mehrfach getrennt, sind aber wieder zusammengekommen und haben sich versöhnt. Die Paare leiden oft an ihrer Beziehung.
In einer solchen Situation suchen Paare häufig einen Paartherapeuten auf. Sie sind zumeist sehr aufgewühlt und emotional stark belastet. Häufig kommen Paare zu mir, die sich bereits mehrfach getrennt und wieder gefunden haben.
Wie ausgewogen ist ihre Beziehung?
Mit ein paar einfachen Fragen können Sie als Paar herausfinden, wie stark Ihre Beziehung von Bindungsangst geprägt ist:
- Unternimmt ein Partner deutlich mehr Anstrengungen, um in Kontakt zu treten?
- Möchte ein Partner deutlich mehr an der Beziehung arbeiten als der andere?
- Wie intensiv wartet ein Partner auf den Anruf oder die Kontaktaufnahme des anderen?
- Empfindet einer der Partner die Beziehung als unsicher und kämpft um diese, während der andere sich der Beziehung sicher ist?
Bindungsangst reguliert Nähe und Distanz
Um seine Ängste zu bewältigen, wird der bindungsängstliche Partner enge Liebesbeziehungen meiden oder nach Momenten der Nähe immer wieder Distanz herstellen.
Bei ihm ist die innere Balance zugunsten des Wunsches nach Autonomie gestört. Zwar kann er sich gut abgrenzen und sich selbst behaupten. Was dem Bindungsängstlichen jedoch schwerfällt, ist, sich anzupassen, Kompromisse zu schließen und sich auf die Erwartungen des Partners einzustellen.
Menschen, die von Bindungsangst geprägt sind, glauben, ihre persönliche Autonomie nur erreichen zu können, indem sie sich von ihrem Partner distanzieren. Es gelingt ihnen dann am besten, nach ihren eigenen Bedürfnissen zu leben, wenn niemand da ist, der Erwartungen an sie stellen kann. Damit wird aber jede Form von ausgewogener Beziehung ad absurdum geführt.
Balance halten in ausgewogenen Beziehungen
Anders sieht es in ausgewogenen Beziehungen aus. Hier haben sich die beteiligten Partner der Liebe des anderen jeweils versichert ohne sich in Bindungs-Abhängigkeiten zu begeben. Es ist ein Gleichgewicht in Bezug auf die Bedürfnisse von Nähe und Distanz entstanden. Keiner der Beteiligten fühlt sich emotional ausgebeutet bzw. nimmt die Zuneigung des anderen als selbstverständlich hin.
In ausgewogenen Beziehungen haben es die Partner geschafft, sich sowohl anzupassen als auch abzugrenzen. Dies ist eine große Anpassungsleistung. Sowohl die Bedürfnisse nach Nähe als auch Autonomie werden in einem angemessenen Umfang wechselseitig erkannt und befriedigt. Indem sich die Partner wechselseitig anpassen, kann das Bedürfnis nach Bindung erfüllt werden. In anderen Phasen wird es mehr um Selbstbehauptung gehen und damit um das Bedürfnis nach Autonomie. So entsteht ein „gesundes“ Gleichgewicht aus Bindung und Autonomie in der Beziehung.
Aktive und passive Bindungsangst
In einer Liebesbeziehung, die von Bindungsangst geprägt ist, gibt es zumeist einen aktiv bindungsängstlichen und einen passiv bindungsängstlichen Partner. Der aktive reguliert die Distanz in der Beziehung. Er verfügt scheinbar über die Macht in der Beziehung, während der passive Partner sich an den anderen klammert.
Je mehr der anhängliche, bindungsängstliche Partner sich jedoch bemüht und seine Zuneigung zeigt, desto mehr wird der andere abgeschreckt und zieht sich zurück. Dieser Rückzug macht den bindungsängstlichen Partner nur noch verliebter und lässt ihn noch mehr klammern. Solange sich diese Person nicht sicher gebunden fühlt, regiert in ihr das Bedürfnis nach Bindung. Die Verlustangst ist so groß, dass sich der autonome Partner noch mehr zurückzieht. So entsteht ein Teufelskreis.
Wie entsteht Bindungsangst?
Ähnlich wie bei anderen Angststörungen geht die Forschung davon aus, dass es biografische Ereignisse gegeben hat, die eine bindungsängstliche Einstellung gefördert haben. Wahrscheinlich beruht die Bindungsangst auf einer frühen Lernerfahrung der Betroffenen mit ihren engsten Bezugspersonen.
Eine umfassende Konzeption zur frühen Mutter-Kind Beziehung stammt von dem britischen Psychoanalytiker John Bowlby und der amerikanischen Psychologin Mary Ainsworth. Gegenstände ihrer Theorie sind die emotionalen Bedürfnisse des Kindes und wie diese in der Interaktion mit der Mutter befriedigt werden. Die von ihnen entwickelte Bindungstheorie konnte empirisch belegen, dass die Qualität der Bezugsperson (Mutter)-Kind Relation einen spürbaren Effekt auf die Bindungssicherheit in späteren Entwicklungsstadien hat. Mehr hierzu erfahren Sie auf der folgenden Website Karl Heinz Brisch – Bindungstheorie
Sich der Bindungsangst bewusst werden
Da sich die Betroffenen ihrer Ängste nur zum Teil bewusst sind, sollte es in einem ersten Schritt um Analyse und Bewusstmachung gehen. Dabei kann es hilfreich sein, sich in einer Selbsterfahrung mit dem Thema zu beschäftigen. Suchen Sie sich hierfür einen geeigneten Ort und Zeitpunkt aus und stellen Sie sich die folgenden Fragen (bitte machen Sie sich am besten hierzu Notizen):
- Fühle ich mich häufig eingeengt? Fühle ich mich häufig vom Partner gestört / genervt?
- Wie hoch sind meine Erwartungen an den Partner?
- Wieviel Sicherheit und Bestätigung benötige ich in meiner Beziehung?
- Wie groß ist mein Wunsch nach Nähe und Bindung relativ zu meiner Sorge vor dem Scheitern der Beziehung?
- Kann mich mein Partner gut erreichen?
- Gibt es wiederkehrende Verhaltensmuster, die uns in emotional schwierige Situationen bringen?
- Woran ist meine letzte Beziehung gescheitert?
Damit haben Sie einen ersten Schritt getan, sich besser kennenzulernen und sich Ihrer Bindungsangst bewusst zu werden.
Bindungsangst überwinden lernen
Wie mit anderen Ängsten ist es auch mit der Bindungsangst. Sobald Sie sich Ihrer Angst stellen, wird diese kleiner. Die Trennung vom Partner schafft vielleicht kurzfristig Erleichterung, hindert Sie aber daran, „Erfolge“ in Beziehungen zu erleben. Machen Sie sich klar, dass eine Trennung für Ihre Ängste langfristig keine Lösung ist. Bindungsängstliche Personen tun deshalb gut daran, sich ihrer Bindungsangst nicht nur bewusst zu werden sondern sich dieser aktiv zu stellen, ohne sich sofort zu trennen.
Um die Bindungsangst hinter sich zu lassen, ist es ratsam, sich mit früheren, engen Beziehungen zu beschäftigen und diese aufzuarbeiten. So kommen Sie in Kontakt mit den Auslösern Ihrer Angst. Hierzu bieten sich insbesondere biografische Verfahren an. Zumeist ist es hilfreich, dies nicht alleine sondern in einer Paartherapie / in einem therapeutischen Setting zu erarbeiten.
Prüfen Sie für sich selbst, wie können Sie sich stärker auf den Partner einlassen, sich anpassen und Vertrauen aufbauen. Versuchen Sie, die für Sie aktuell notwendige Distanz innerhalb der Beziehung zu regeln, indem Sie z.B. ein Wochenende allein verbringen, allein ein Hobby betreiben oder ähnliches.
Unterstützung durch den Partner
Sprechen Sie mit Ihrem Partner über Ihre Ängste, wenn Sie aktuell in einer Beziehung leben. Verbalisieren Sie Ihre Sorgen vor dem Verlust von Autonomie. Damit machen Sie einen ersten wesentlichen Schritt und geben Ihrem Partner wesentliche Einblicke in Ihr Verhalten und Ihre Seele.
Wünschen Sie sich Verständnis und Zuwendung von Ihrem Partner. Indem sich Ihr Partner verständnisvoll zeigt und „Fehler“ verzeiht, können Sie neue Bindungserfahrungen machen und alte Muster überwinden lernen.
Wie kann ich Sie bei Ihrem Thema unterstützen?
Gerne unterstütze ich Sie als Paartherapeut in Köln und Bonn beim Thema Bindungsangst. Ich nehme Sie mit Ihrem Thema ernst und helfe dabei, den Blick zu weiten. Gemeinsam schauen wir hinter die Kulissen und gehen Ihren Sorgen auf den Grund.
Parallel hierzu schauen wir darauf, welche Stärken Sie als Individuum und in Ihrer Paarbeziehung haben, die Sie bislang noch nicht ausreichend genutzt haben. Ich unterstütze Sie dabei, diese Stärken kennenzulernen und auszubauen.
Hans-Georg Lauer
Paartherapeut in Köln und Bonn